Rund ein Drittel aller älteren Patient*innen entwickelt im Spital den Zustand akuter Verwirrtheit. Hochspezialisierte Pflegekräfte wissen das Delir zu verhindern oder zu vermeiden.
Von Heike Kossdorff
Es beginnt mit Ruhelosigkeit oder aber Apathie. Das sind mögliche Symptome des sogenannten Delirs, eines Zustands akuter Verwirrtheit, der häufig bei einem Krankenhausaufenthalt und plötzlich auftritt, innerhalb von Stunden oder Tagen. Eine Demenz entwickelt sich hingegen schleichend. Etwa jede*r dritte bis vierte ältere Patient*in ist vom Delir betroffen. Daher gibt es im Herz-Jesu Krankenhaus Wien seit einem halben Jahr eine speziell ausgebildete Advanced Practice Nurse (APN) für das Krankheitsbild. Cornelia Kelterer schloss ein Masterstudium ab und sammelte viel Expertise im gehobenen Dienst der Gesundheits- und Krankenpflege. Zusätzlich spezialisierte sie sich auf das Fachgebiet Demenz und Delir.
Die Zahl der Betroffenen wächst stetig, weiß Kelterer. „Bis zum Jahr 2050 werden 270.000 Patient*innen in Österreich von Demenz betroffen sein. Für die Personengruppe ist die stationäre Aufnahme in ein Krankenhaus und der damit verbundene Wechsel der gewohnten Umgebung eine besondere Herausforderung, die ein Delir begünstigen kann.“ Um die bedarfsgerechte Versorgung sicherzustellen, seien präventive Interventionen wichtig. „Schließlich können 30 bis 40 Prozent aller Delire durch prophylaktische Maßnahmen vermieden werden.“
Zur Prävention eines postoperativen Delirs motiviert Kelterer zu Übungen, die Patient*innen als Vorbereitung auf den Spitalsaufenthalt schon zu Hause absolvieren können:
Viele Spaziergänge an der frischen Luft unternehmen. Auch ausgewogene und proteinreiche Ernährung sowie eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr sind vor einem Krankenhausaufenthalt empfehlenswert.
Kognitive Übungen wie Kreuzworträtsel, Sudoku oder Neurobics-Übungen einbauen. „Letztere sind körperliche Übungen mit dem Ziel, das Gehirn zu trainieren und es flexibler und agiler zu machen“, so die APN. So sollen kognitive Fähigkeiten erhalten bleiben und das Risiko von Delir verringert werden.
Entspannungsübungen wie Yoga oder Handkraftübungen in den Alltag einbauen, zum Beispiel mit einem Tennisball. „Sie sind nicht nur gut für die Muskelkraft und die Feinmotorik, sondern helfen auch bei der Lenkung der Aufmerksamkeit.“
Möglichst wenig Veränderung im Spital, zum Beispiel ein Zimmerwechsel. Im Idealfall sollten auch immer die gleichen Betreuungspersonen anwesend sein und die Angehörigen stark einbezogen werden. „Vertraute und persönliche Gegenstände von daheim können sehr unterstützend sein“, erklärt Kelterer. Dazu gehören Fotos oder Hygieneartikel mit dem gewohnten Geruch.
Stress reduzieren und verstärkt darauf achten, dass der Lärmpegel nicht zu hoch ist. Durch Routinen, beispielsweise Schlafmasken oder Rituale zum Einschlafen, wird versucht, den gewohnten Tag-Nacht-Rhythmus aufrechtzuerhalten.
Die regelmäßige Reorientierung gelingt durch das Aufstellen einer Uhr und eines Kalenders in Sicht- sowie Griffweite. Ebenso durch die Bereitstellung von Hörgerät und Brille. „Wir stellen uns den Patient*innen auch immer wieder vor und besprechen, welcher Tag heute ist und welche Uhrzeit wir gerade haben“, so Kelterer.
Kommunikation ist essenziell. So werden Behandlungen und Therapien immer wieder erklärt. Die Beziehungspflege mit Patient*innen wird durch Initialberührungen unterstützt.
Unabhängig von einem Spitalsaufenthalt können laut der Delir- und Demenzexpertin alle etwas zur Prophylaxe tun, nämlich Neurobics-Übungen absolvieren. „Die Devise ist, Dinge einfach einmal anders zu machen.“
Beispielsweise den üblichen Weg in die Arbeit oder zum Einkaufen durch eine neue Route ersetzen. Oder leichte Tätigkeiten im Alltag mit der weniger dominanten Hand durchführen. Rechtshänder putzen sich also mit der linken Hand die Zähne oder schreiben so ihren Einkaufszettel.
Die Sinne trainieren. Beim Frühstück etwa Kopfhörer aufsetzen oder die Augen verbinden und spüren, wie sich das Essen anfühlt oder wie es schmeckt. Gut für das Gehirn ist auch die Übung, bei der einer Person von einer anderen etwas mit dem Finger auf den Rücken gemalt wird und sie das Wort erraten muss.
Feinmotorik und Tastsinn fördern. Dazu Dinge wie Knöpfe, Schrauben und Büroklammern in einen Beutel geben. Ziel ist es, allein durch Ertasten herauszufinden, um welche Gegenstände es sich handelt.
Am Mobiltelefon Apps für kognitive Übungen installieren, zum Beispiel Neurobics für Android und NeuroNation für Apple.
Fotos: Alek Kawka