Da Vinci auf der Überholspur
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Da Vinci auf der Überholspur

Medizin
Erfahrungsbericht
Reportage

Der innovative OP-Roboter feiert weltweit einen Siegeszug. In Österreich ist er verstärkt in Spitälern der Vinzenz Gruppe im Einsatz. In Ried, Linz und Wien wird Pionierarbeit geleistet.

Von Karin Lehner

Engelbert R. verspürte beim Essen ein Völle- und Druckgefühl in der Magengegend. Die Schmerzen besserten sich nicht, also ging er zum Arzt und erhielt die Diagnose Magenkarzinom. Allein in Oberösterreich trifft sie jährlich rund 250 Menschen. R. landete schließlich bei Primar Dr. Bernhard Furtmüller, Abteilungsleiter Chirurgie am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried. Angst vor der Operation, bei der ihm ein Teil des Magens und Lymphknoten entfernt werden mussten, hatte der 72-Jährige nicht. „Ich war froh, dass rasch etwas unternommen wird.“ Beim Aufwachen aus der Narkose fühlte sich R. gut, er war schmerzfrei. Bereits am siebten postoperativen Tag konnte er das Spital wieder verlassen und war bereit für die nachfolgende zweite Chemotherapie. „Ich war mit der OP sehr zufrieden.“

Lernen am Simulator

Sie war außergewöhnlich, denn an der Seite des auf Viszeral-(Bauch-)chirurgie spezialisierten Operateurs stand ein Assistent mit dem klingenden Namen Da Vinci. Er ist ein Roboter und erobert weltweit die Operationssäle. Das Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried zählt zu den ersten Krankenhäusern Österreichs, in denen das innovative OP-System bereits im Einsatz ist. Hier sind sechs Chirurg*innen an Da Vinci ausgebildet und trainiert. „Erst nach erfolgreicher Einarbeitungszeit mit Simulationstraining und abschließender Prüfung darf mit dem Roboter operiert werden“, erklärt Furtmüller, der damit bereits 150-mal erfolgreich operiert hat.

Unter menschlicher Führung absolviert Da Vinci auf der Chirurgie mittlerweile auch Leistenbruch- und Dickdarmoperationen sowie (Teil-)Resektionen (Entfernungen) von Organen, zum Beispiel von Magen oder Bauchspeicheldrüse. Das System besteht aus einer Konsole, vor der die Chirurg*innen sitzen, und vier präzise steuerbaren Roboterarmen in der Nähe der Patient*innen. Eine neuartige Situation im OP.

Primarius Bernhard Furtmüller mit seinem erleichterten Patienten Engelbert R.

Bilder in 3D-Optik

Über mehrere Gelenke kann Da Vinci seine Arme in alle Richtungen abwinkeln. Sie ermöglichen Chirurg*innen eine verbesserte Präzision. Über weniger als einen Zentimeter kleine Schnitte werden die Instrumente als Verlängerung der OP-Arme in den Körper von Patient*innen eingebracht. Einer trägt eine Kamera, die Bilder in 3D-Qualität liefert. Ideal bei komplexen Operationen auf engem Raum und der Herstellung von Verbindungen in einem anatomiebedingt schwierigen Umfeld.

Die Chirurg*innen an der Konsole haben das Operationsgebiet dank HD-TV vergrößert und auflösungsbedingt kontrastreicher im Blick und können damit alle Gewebeschichten sowie -strukturen detailgenau wie unter einer Lupe beurteilen. Das ermöglicht die punktgenaue Setzung chirurgischer Maßnahmen. Furtmüller ist von seinem Assistenten überzeugt. „Da Vinci bietet große Vorteile beim Nähen im Bauchraum, denn die Roboterarme ermöglichen Bewegungen wie aus dem Handgelenk heraus.“ Das System erlaubt die Verfeinerung der ohnehin schon sanften Methode der Laparoskopie (minimalinvasiver Eingriff) und schont umliegendes Gewebe.

In der Vorreiterrolle

Da Vinci ist mittlerweile beliebt. „Patient*innen haben nach der OP weniger Schmerzen, benötigen daher weniger Medikamente und erholen sich schneller. Das verkürzt ihren Aufenthalt im Krankenhaus“, bilanziert Furtmüller. Eine diffuse Angst vor der OP mit einem Roboter könne schnell ausgeräumt werden. „Nach ausführlichen Aufklärungsgesprächen zeigen sich alle Patient*innen aufgeschlossen und wissen, dass die Technik Fortschritt bedeutet.“

Ein solcher sind auch die zwei neuen Da Vinci-Dualkonsolen in Ried. Sie eignen sich zur Ausbildung neuer Chirurg*innen. „Ich sitze an der zweiten Konsole und kann zu jedem Zeitpunkt eingreifen“, erklärt Furtmüller. „Außerdem kann ich am Bildschirm über Pfeile anzeigen, wo genau geschnitten werden muss.“ Die Zukunft gehört den Robotern, ist der Viszeralchirurg überzeugt. Waren vor einigen Jahren in Österreich erst sieben Da Vinci-Systeme im Einsatz, sind es jetzt bereits mehr als 22.

„Die Abteilungen der Vinzenz Gruppe sind in der Vorreiterinnenrolle“, so Furtmüller. „Außerdem sind wir häuserübergreifend vernetzt und lernen so ständig voneinander.“

Seit 2008 steuern Chirurg*innen in Linz über die Konsole den Da Vinci.

Pionier-OP in Linz

In der Pionierrolle befindet sich auch das Ordensklinikum Linz. Mit Da Vinci führten Urolog*innen hier Österreichs allererste Prostata-OP mit dem neuen System durch. Sie ist mittlerweile Standard und wurde seit 2008 rund 5.400-mal angewandt. Doch das robotergestützte System ist hier nun auch in der Allgemein- und Thoraxchirurgie sowie Kinderurologie im Einsatz, insgesamt bislang etwa 1.000-mal.

Wie Kolleg*innen aus Fleisch und Blut bildet sich auch Da Vinci ständig weiter. Er erfährt technische Updates. Am Ordensklinikum Linz ist mittlerweile ein zweiter Roboter im Einsatz, ein noch moderneres System. Damit werden nun auch minimalinvasive Tumor-OPs in puncto Bauchspeichel-drüse, Leber, Speiseröhre, Magen, Dickdarm und Lunge überwiegend robotergestützt durchgeführt. Auch bei HNO- und Gynäkologieoperationen ist Da Vinci hier regelmäßig im Einsatz. Primar Prof. Dr. Matthias Biebl, Leiter der Abteilung für Allgemein-, Viszeral-, Transplantations- und Thoraxchirurgie, glaubt an die Zukunft des Systems. „Wir arbeiten hier bereits mit der vierten Generation der OP-Roboter.“

„Keine Angst“

Mit einem Loch im Harnleiter, Magen- und Darmproblemen sowie einer Rezidivnarbenhernie (Bruch bzw. Austritt von Eingeweiden aus der Bauchhöhle) infolge einer Prostatakarzinom-OP in einem anderen Krankenhaus hatte Heinz Schalek einen langen Leidensweg mit mehreren Eingriffen hinter sich. Doch dann landete er bei Oberarzt Dr. Daniel Reichhold, Facharzt für Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie im Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien, einem Spezialisten für minimalinvasive und robotische Chirurgie. Eine weitere Operation war nötig, eine komplexe Bauchdeckenrekonstruktion. Weil zuvor einiges schiefgegangen war, hatte der 70-jährige Patient Angst vor der erneuten OP. „Ich konnte die Nacht davor nicht schlafen“, erinnert sich Schalek.

Doch als er aus der Narkose erwachte, hatte er „null Probleme, keine Schmerzen und konnte sofort aufstehen“. Schon am Folgetag ging er nach Hause. Die vier kleinen Narben sind bald nicht mehr erkennbar. Und trotz eines derzeit noch nötigen Mieders ist endlich wieder ein normaler Alltag möglich. Patient*innen in einer ähnlichen Situation rät er: „Keine Angst haben und zu einem Experten wie Dr. Reichhold gehen. Ich wurde perfekt aufgeklärt, operiert und betreut.“

Chirurg Daniel Reichhold arbeitet am Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien seit drei Jahren mit dem Da Vinci.

Schonende eTEP-OP

In der robotischen Hernienchirurgie macht Da Vinci hier seit Herbst 2022 Dienst. Vergangenes Jahr wurden 180 Hernienoperationen mit dem Roboter durchgeführt. Patient*innen wie Schalek, die erneut operiert werden müssen, profitieren laut Reichhold besonders. „Aufgrund lokaler Vernarbungen und Verwachsungen sind diese Eingriffe anspruchsvoll. Da helfen die 3D-Kamera und das noch präzisere Arbeiten mit dem Roboter sehr.“

Große offene Schnitte von 20 bis 30 Zentimetern wie beim vorangegangenen Eingriff waren dank Da Vinci und der neuen eTEP-Operationsmethode nicht mehr nötig. „Dabei wird die Bauchhöhle nicht mehr geöffnet, sondern es wird innerhalb der Bauchdecke operiert und das erforderliche Netz direkt zwischen Muskel und Bindegewebe platziert“, beschreibt Reichhold den Eingriff. Der Chirurg setzt nur drei bis vier kleine Schnitte an der Bauchdecke. Damit werden ein langer Spitalsaufenthalt und die Drainagen zur Ableitung von Wundsekret obsolet.

Laufende Trainingseinheiten

Reichhold schätzt seinen „Kollegen“ Da Vinci, auch wenn die Umstellung auf die neue Operationsmethode eine große Veränderung war. „Ich bin im OP ja nicht mehr direkt bei den Patient*innen, sondern sitze in räumlicher Distanz an der Konsole.“ Das verändere die Kommunikation mit den Kolleg*innen im OP-Team. „Es braucht eine noch bessere Zusammenarbeit.“ Außerdem müsse in die Aus- und Weiterbildung in der Zusammenarbeit mit dem Roboter investiert werden. „Das ist ungefähr so, wie wenn ich vom Auto auf das Motorrad umsteige. Es braucht Training in Theorie und Praxis.“

Mittlerweile wird Da Vinci hier auch für OPs in der Allgemeinchirurgie in puncto Darm-, Leber-, Magen- und Pankreasresektionen sowie bei komplexen bariatrischen Eingriffen (chirurgische Behandlung von krankhaftem Übergewicht) eingesetzt. Außerdem bei urologischen Operationen, 2024 waren es 235. Laut Reichhold ist bereits die nächste Innovation in Sicht. „Ein Single-Port-Roboter, der nur mehr einen einzigen winzigen Schnitt benötigt.“ Dank Da Vinci ist die Zukunft von Operationen minimalinvasiv.

Bilder: Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried/Foto Hirnschrodt e.U., Ordensklinikum Linz, Marcus Deak

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