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Reportage

Bis zu 100 Kinder bekommen in Wien pro Jahr die Neudiagnose einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung. Wie ihre Therapie in einer Spezialambulanz aussieht.

Von Karin Lehner

Der Weg zu Dr. Thomas Pachtner, Leiter der Gastroambulanz der Kinderabteilung des St. Josef Krankenhauses Wien, beginnt meist im Alter zwischen acht und zwölf Jahren mit Symptomen wie Übelkeit, Bauchschmerzen oder Durchfall. Dauern die Symptome an, können dahinter chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) stecken wie Morbus Crohn (siehe Kasten), der häufiger bei Jungen als Erwachsenen auftritt, oder Colitis ulcerosa. 80 bis 100 Kinder bekommen in Wien jährlich die Neudiagnose CED, rund ein Sechstel stellt Pachtner. „Weil sie bei jungen Patient*innen anders zu therapieren sind, sollte die Diagnose und Behandlung ausschließlich bei Pädiater*innen stattfinden.“

Nicht immer einfach. Er ist einer von nur zwölf Wiener Kinderärzt*innen mit Spezialisierung auf Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts. 2018 baute er die Spezialambulanz in Wien-Hietzing auf. In der Stadt gibt es nur drei weitere. Pachtner und sein Team, Fachärztin Dr.in Katharina Becher und Assistenzärztin Dr.in Hannah Freytag, behandeln pro Jahr rund 300 Patient*innen zwischen null und 18 Jahren. Der Diagnose geht oft ein monatelanger Leidensweg voraus, denn bei Kindern sind CED meist ausgeprägter als bei Erwachsenen, inklusive heftigeren Symptomen. „Unbehandelt führen sie zu Entwicklungsverzögerungen in der Pubertät“, erklärt Pachtner.

Mit Eltern zur Endoskopie

Er behandelt in der Ambulanz wie stationär. Ist eine Aufnahme von jungen Patient*innen nötig, dann im Beisein ihrer Eltern. Als Vater von drei Kindern ist Pachtner Pädiater mit Leib und Seele. Seit seiner Kindheit ist er Typ-1-Diabetiker und weiß aus eigener Erfahrung, dass der Spitals-alltag junge Patient*innen ängstigen kann. Sein Team kompensiert das durch eine besonders empathische Betreuung. „Wir pflegen eine sehr persönliche Beziehung zu den von uns behandelten Kindern. Bei Fragen können sie uns jederzeit erreichen.“

Zunächst erklärt der Pädiater über Bilder, was bei der Untersuchung passieren wird. Abgeklärt und diagnostiziert werden CED über die Endoskopie, via Magen- (Gastroskopie) oder Darmspiegelung (Koloskopie). Letztere führt Pachtner bei Kindern ab zwei Jahren ein Mal pro Woche durch. Weil die Organe von unter Vierjährigen kleiner sind, kommen Geräte mit schmalem Durchmesser zum Einsatz. Bei jeder Untersuchung ist ein*e Anästhesist*in anwesend. „Und die Eltern“, betont der Pädiater. „Sie begleiten ihr Kind bis in den Endoskopieraum und verlassen ihn erst, wenn es nach Sedierung mit einem Schlafmittel schlummert.“

Eltern sind in Diagnose eingebunden

Lexikon

Morbus Crohn ist eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung, die der Körper als Autoimmunreaktion wohl selbst auslöst.

Colitis ulcerosa ist eine chronische Entzündung der Dickdarm-(Colon-)schleimhaut, bei der sich Geschwüre bilden können.

Eosinophile Ösophagitis ist eine chronische Entzündung der Speiseröhre. Und bei Zöliakie führt das Klebereiweiß aus Getreide (Gluten) zu chronischer Dickdarmentzündung.

Diät bei Morbus Crohn

Für die Diagnose von Morbus Crohn wird laut Pachtner sowohl eine Darm- als auch eine Magenspiegelung durchgeführt. Nach Abklärung folgt eine spezielle Diät, bei der nur wenige Lebensmittel erlaubt sind. Kein Gluten, keine Milch, nur Hühnerfleisch sowie ausgewähltes Obst und Gemüse. „Leider sehr einschränkend“, weiß der Kinderarzt, aber dennoch das Beste. „Sie hat den gleichen Effekt wie Kortison, das wir bei Kindern in der Wachstumsphase nur sehr dosiert einsetzen.“ Rund 80 Prozent der Patient*innen mit leichtem bis moderatem Morbus Crohn sprechen gut auf die Ernährungsumstellung an. Bei schweren Verläufen kommt eine Antikörpertherapie zum Einsatz, erst danach Kortison. „Heilbar ist Morbus Crohn nicht“, so Pachtner, „aber wir ermöglichen mit unseren Therapien ein kindgerechtes Leben.“

Ist ein Familienmitglied erkrankt, besteht ein erhöhtes Risiko. Der Pädiater erinnert sich an Geschwister, die innerhalb weniger Wochen dieselbe Diagnose erhielten. Bei den unter Sechsjährigen wird zusätzlich eine mögliche genetische Ursache abgeklärt. „Gewisse Fälle können mithilfe einer Knochenmarkstransplantation geheilt werden“, erklärt Pachtner.

Gamechanger für Speiseröhre

Auch die Symptome von CED sind bei Kindern andere als bei Erwachsenen. So verursacht Colitis ulcerosa bei jungen Patient*innen mitunter Leberschäden. „Erfolgt keine Behandlung, braucht es 30 Jahre später oft eine Organtransplantation“, so Pachtner. Da diese Erkrankung aggressiver verläuft, muss in diesem Fall oft rasch Kortison und/oder Antikörper gegeben werden. Ebenso bei der Behandlung von eosinophiler Ösophagitis. Sie steht oft in Zusammenhang mit einer Nahrungsmittelallergie und führt ohne Behandlung zur Einengung der Speiseröhre. Neben einem kortisonhaltigen Spray freut sich der Pädiater über einen „Gamechanger in der Behandlung“, ein Medikament, das zuvor nur bei der Hauterkrankung Psoriasis eingesetzt wurde.

Zöliakie wiederum ist eine Nahrungsmittelunverträglichkeit und mit einer Diät gut zu behandeln. „Wenn andere Befunde passen, braucht es in neun von zehn Fällen keine Gastroskopie“, spricht Pachtner aus Erfahrung. Für seine Patient*innen hat er großen Respekt. „Sie sind sehr tapfer. Bislang hat noch niemand die Behandlung abgebrochen.“ Für die Zukunft seiner Schützlinge wünscht er sich mehr psychologische Begleitung nach der Diagnose. „Hier schwingt immer Angst mit. Was heißt das für mein Leben? Werde ich einen normalen Alltag haben? Kinder mit CED-Diagnose brauchen Profis zum Reden.“

Foto: Alek Kawka

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