Arzt untersucht Hand in einem Behandlungszimmer.
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Wenn nachts die Hand schmerzt

Medizin
Reportage
Innovation

Das Karpaltunnelsyndrom ist eine der häufigsten schmerzhaften Erkrankungen am Handgelenk. Betroffene werden bereits mit der Weiterentwicklung der minimalinvasiven OP-Methoden behandelt.

Von Karin Lehner

Jarmila Kovarik litt zuerst an nächtlichen Schmerzen in der rechten Hand. Kurze Zeit später auch unter tauben Fingern. Das Zumachen von Knöpfen oder Reißverschlüssen gingen der fast 90-Jährigen nicht mehr so leicht von der Hand. Also konsultierte sie einen Orthopäden, der nach eingehenden Untersuchungen die Diagnose Karpaltunnelsyndrom (KTS) stellte und ihr zur Operation des eingeengten Nervs riet, der die Schmerzen verursacht. Sie landete bei Oberarzt Dr. Matthias Wlk, Facharzt für Orthopädie, orthopädische Chirurgie und Rheumatologie am Herz-Jesu Krankenhaus Wien. „Mir ging es nach der OP sofort gut“, erinnert sich die Patientin. „Und der Eingriff war nur an einem kleinen roten Punkt und dem Pflaster darüber zu erkennen.“

Es beginnt mit Ameisenlaufen

Beim KTS ist der Medianus-Nerv im Handgelenksbereich eingeengt. Das kann den Tastsinn beeinträchtigen oder Kribbeln verursachen, das sogenannte Ameisenlaufen. Im schlimmsten Fall kommt es durch Muskelschwund sogar zu Funktionseinschränkungen des Daumens. Für die Diagnose werden ein genaues ärztliches Gespräch, eine klinische Untersuchung und technische Methoden wie Nervenleitgeschwindigkeitsmessung, Ultraschall und, eher selten, eine Elektromyographie (EMG) durchgeführt.

So kann Wlk den Zustand des Nervs beurteilen. „Er muss immer gut gleiten können und darf nicht eingeengt sein.“ Wenn Letzteres der Fall ist, wird zunächst konservativ therapiert, mit einer Nachtlagerungsschiene, entzündungshemmenden Medikamenten (NSAIDs), Kortikosteroidinjektionen und speziellen Übungen. Erfolgt keine Besserung, braucht es eine OP. Wlk empfiehlt rasches Handeln. „Je länger die Störung andauert, desto länger dauert die Regeneration.“

Arm mit Schiene

Um das Handgelenk ruhigzustellen, wird eine Schiene angelegt. © OSS Kriegleder

Frauen über 50 gefährdet

Das KTS tritt besonders häufig beim weiblichen Geschlecht um die 50 auf. Hier sind zwei bis drei Prozent aller Frauen betroffen. „Ursachen hierfür sind einerseits hormonelle Gründe, aber meistens ist es der Druck auf den Medianus-Nerv durch wiederholte Belastung des Handgelenks, zum Beispiel durch Tätigkeiten am Fließband oder die Arbeit am PC“, erklärt Wlk. Seltener führen Sehnenscheidenentzündungen, Grunderkrankungen wie Diabetes, rheumatoide Arthritis und Schilddrüsenfunktionsstörungen oder Übergewicht zur Ausbildung des Syndroms.

Pro Jahr gibt es laut Hochrechnung auf Basis von Zahlen der Statistik Austria rund 21.000 Neuerkrankungen. In Österreich finden jährlich rund 15.000 Operationen zur Behebung des KTS statt, davon der Großteil in offener OP-Technik. 834 davon beziehungsweise 5,6 Prozent wurden jedoch minimalinvasiv, also endoskopisch durchgeführt. Die Spitäler der Vinzenz Gruppe sind bei der für Patient*innen schonenden OP-Technik führend.

Neue und schnelle OPs

Das neueste der minimalinvasiven Verfahren ist eine ultraschallgestützte Spaltung des Haltebandes des eingeengten Nervenkanals mit Hilfe des innovativen Spirecut-Sono-Instrumentariums. Wlk setzte die Technik auch bei Kovarik ein. „Durch die Durchtrennung des Karpaltunnels wird der Druck auf den Medianus-Nerv gezielt entlastet. Bei der Spirecut-Technik ersetzt ein kleiner Stich den klassischen Hautschnitt.“ Schon wenige Tage nach der OP ist er nicht mehr sichtbar. Speziell entwickelte chirurgische Instrumentarien schonen das umliegende Gewebe.

Die Besonderheit liegt in der Integration der Ultraschalltechnologie. „Mit ihrer Hilfe können wir die regulären anatomischen und erkrankten Strukturen der Hand präzise visualisieren, den Eingriff exakt auf individuelle Gegebenheiten anpassen und das Sehnendach spalten“, erläutert Wlk. Damit ist das Spirecut-Instrumentarium die Fusion von Handchirurgie und Sonographie.

Keine Nacht im Spital

Die neueste der minimalinvasiven KTS-OP-Techniken führt zu einer schnellen Genesung und reduziert das Risiko von Narbenproblemen oder Wundheilungsstörungen. Der Eingriff wird tagesklinisch und unter Lokalanästhesie durchgeführt und dauert 15 bis 30 Minuten. Eine Blutsperre ist nicht nötig, ebenso wenig ein langer Aufenthalt. Patient*innen können das Krankenhaus bereits eine Stunde nach der OP verlassen und erscheinen am Folgetag zur Kontrolle. Eine postoperative Nahtentfernung braucht es ebenfalls nicht. So können Operierte Dinge des Alltags wieder rasch erledigen. Doch das könne laut Wlk auch zum Nachteil werden, wenn sie sich nicht schonen. „Wird die Hand zu schnell voll belastet, kann das durchtrennte Halteband nicht rasch verheilen und könnte längere postoperative Schmerzen verursachen.“ Zwar dürfen sich Operierte drei Tage danach wieder die Hand waschen, aber schwere Tätigkeiten erst nach sechs Wochen erledigen.

Doch das Spirecut-Instrumentarium eignet sich nicht für alle Betroffenen. Für wen es taugt, wird im Vorfeld mit einer Ultraschalluntersuchung abgeklärt. Voroperierte oder entzündete Sehnenscheiden erfordern einen offenen Eingriff. „Letzterer hat den Vorteil, dass wir Operateur*innen hier alles viel besser einsehen und beurteilen können. Das ist bei manchen KTS-Patient*innen nötig.“ Es gibt sogar Eingriffe, bei denen während des Spirecuts der Umstieg auf eine offene OP nötig ist. Minimale Risiken haben beide Methoden.

Ergotherapie kann vorbeugen

Auch im Orthopädischen Spital Speising stehen KTS-Eingriffe auf dem Programm, rund 400 pro Jahr. Auch hier wird routinemäßig minimalinvasiv operiert. Um eine OP zu vermeiden beziehungsweise hinauszuzögern, setzt das Team auf eine interdisziplinäre Behandlung des KTS durch die Integration von Orthopädie und Ergotherapie. Letztere wird in Speising von Doris Taurok geleitet. „Bei leichten Symptomen kann zunächst ein konservativer Behandlungsversuch unternommen werden. Über eine ergotherapeutisch angefertigte Schiene für die Nacht, die gegen das Einschlafen und Kribbeln der Finger hilft“, weiß Taurok aus der Praxis. „Auch Maßnahmen wie Nervengleitübungen, die Mobilisation des Handwurzelbereiches und Muskelaufbau am Handgewölbe können die Symptome verringern.“

Mikrochirurgie durch Lupen

Im St. Josef Krankenhaus Wien werden KTS-Eingriffe von plastischen Chirurg*innen durchgeführt, etwa Oberärztin Dr.in Veronika Huber. „Wir sind es gewohnt, mikrochirurgisch und unter Lupenbrillensicht zu arbeiten.“ Das sei für KTS-Eingriffe besonders wichtig, weil hier an einer sensiblen Körperregion operiert wird, an der die anatomischen Gegebenheiten variieren können. „Für den Erfolg der OP ist es essenziell, die Schicht direkt über dem Nerv und seine Umgebung nicht zu beschädigen.“ Ohne Spirecut erfolgt der Wundverschluss mittels Einzelknopfnähten. Danach bekommen Patient*innen einen dicken, fast gipsähnlichen Schutzverband. „Die Finger bleiben frei und sollten bewegt werden“, rät Huber. Nach einer Woche erfolgt eine Wundkontrolle, nach zwei Wochen die Nahtentfernung. Zur Abheilung sollte die Narbe massiert werden.

Chirurg operiert Hand

Chirurg Johannes Steinbacher schaut bei der Operation durch eine Lupenbrille. © Göttlicher Heiland

Schnell wieder fit

Auch im Göttlicher Heiland Krankenhaus Wien ist die minimalinvasive KTS-OP, die sogenannte offene Dekompression des Nervus medianus, eine Domäne des Teams der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgie erklärt Oberarzt Dr. Johannes Steinbacher. „Der Eingriff dauert nur wenige Minuten und ermöglicht Patient*innen meist eine schnelle Linderung der Beschwerden sowie eine rasche Rückkehr in den Alltag.“

Das war auch bei Kovarik der Fall. Doch inzwischen stellten sich charakteristische Schmerzen in der linken Hand ein. Also plant sie den nächsten KTS-Eingriff. Ohne Sorgen und Angst, aber mit viel Vertrauen zu ihrem Operateur. „Gerne wieder bei Dr. Wlk. Ich bin sehr zufrieden.“

Übungen zur Behandlung des KTS

1. Ball drücken. Einen kleinen weichen Ball in die Hand nehmen und mit den Fingern kräftig zusammenpressen. Nach einigen Sekunden die Hand wieder öffnen und die Übung wiederholen.

©freepik

2. Dehnung des Beugemuskels. Den betroffenen Arm nach vorne strecken. Die Fingerspitzen zeigen zum Boden, die Handfläche zeigt nach vorne. Nun mit der anderen Hand die Finger in Richtung Boden ziehen. Die Dehnung einige Sekunden lang halten.

3. Um den Handgelenksstrecker durchzuführen, die gleiche Übung mit dem Handrücken nach vorne ausführen und mit der anderen Hand die Finger nach hinten ziehen.

4. Gebetshaltung. Die Handflächen vor der Brust zusammenführen und die Finger auseinanderspreizen. Die Dehnung rund eine Minute lang halten.

Hände in Gebetsstellung©freepik

Headerbild: Der orthopädische Chirurg Matthias Wlk untersucht vor der Operation, wo der Nerv am Handgelenk eingeengt ist.
© Marcus Deak

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